Roger Kunert

Beziehungen

Die Beziehungen zwischen Europäern und Einheimischen in den deutschen Kolonien

Vorbemerkung

In den vergangenen Jahrzehnten erschien eine recht beachtliche Zahl von Veröffentlichungen zur deutschen Kolonialgeschichte, die auch den hier zu betrachtenden Gegenstand berührten. Es ist allerdings mindestens genauso beachtlich, welche Ignoranz dabei vor allem in der deutschsprachigen Literatur oftmals zu Tage tritt. Unbekümmert um Tatsachen wird eine wissenschaftlich verbrämte Polemik betrieben. Anstatt den tatsächlich wissenschaftlichen Versuch zu unternehmen, geschichtliche Abläufe aus der jeweiligen Zeit heraus zu verstehen, wird in selbstherrlicher Überheblichkeit verurteilt. Ein Beispiel möge genügen: „So ist überall moderner Imperialismus [Gemeint ist das Zeitalter des Kolonialismus; Anm. d. Verf.] auch Rassismus (...). Allerdings ist dieser Rassismus nirgends so stark betont worden wie in der deutschen imperialistischen Ideologie. Und so stoßen wir bei der Behandlung des deutschen Imperialismus unweigerlich auf geistige Wurzeln des Faschis­mus (...).“[1]  Abgesehen davon, daß der wissenschaftliche Nutzen derartiger Ausführungen zu­mindest äußerst fraglich sein dürfte, ist es auffallend, mit welcher Beharrlichkeit wirklich aus­sagekräftige Primärliteratur, d.h. Fachliteratur der entsprechenden Zeit, gemieden wird. Diesen Mangel auszugleichen soll im folgen­den anhand von Schilderungen kolonialer Erfahrungen von Männern, die vor Ort waren, ver­sucht werden. Ein Anspruch auf Vollständigkeit kann allein schon auf Grund des Umfanges der Materie nicht erhoben werden.

Forscher und Missionare

Bereits Forscher und Entdecker haben sich mit der Frage beschäftigt, welche Folgen das Er­scheinen des Europäers auf die Lebensweise der jeweils einheimischen Bevölkerung haben würde. Und so findet sich bereits in den aus den Jahren 1815 bis 1818 herrührenden Südsee-Reisebeschreibungen Chamissos die resignierende Feststellung: „Es wird nun schon zu spät. Auf O-Taheiti, auf O-Waihi verhüllen Missionshemden die schönen Leiber, alles Kunstspiel ver­stummt, und der Tabu des Sabbaths senkt sich still und traurig über die Kinder der Freu­de.“[2] Gerade die christlichen Missionare haben durch Aufdrängen ihrer zumeist unpassenden Morallehre zugestandenermaßen massiv in das Sozialgefüge der Einheimischen eingegriffen.[3] Aber natürlich war es nicht nur der christliche Religionseifer, der sich oftmals verhängnisvoll auf Leben und Kultur der Einheimischen auswirkte: „Was fehlt diesen Zentralafrikanern im Schatten der prächtigen Palmen, im Überfluß eines reichen Fleckchens Erde, in Unkenntnis anderer Bedürfnisse, als derjenigen, die sie leicht befriedigen können, zum Glücklichsein? Bei derartigen Betrachtungen beschleichen den Forscher eigentümliche Gedanken. Er zieht einen Vergleich zwischen den fast paradiesischen Verhältnissen von hier und jenen mehr der Küste zu, wo leider immer die schlimmen Gaben der Zivilisation tief störend in das Glück vorher zufriedener Menschen eingreifen. Der Forscher selbst ist es, der die erste Verbindung mit die­ser schlimmen Zukunft anknüpft (...).“[4] Niemand anderes als Wissmann, dem weite Teile der ostafrikanischen Bevölkerung die Befreiung von arabischer Sklaverei verdankt, hat sich dieser Selbstkritik unterzogen. Dieser Geisteshaltung entspricht die Achtung deutscher Forscher vor der einheimischen Bevölkerung. Aus einem Expeditionsbericht über die Erforschung des Sepik in Neuguinea erfahren wir: „Die Eingeborenen an den Ufern des Flusses, die noch völlig dem Steinzeitalter angehören, zeigten sich als ein hoch kultiviertes Volk mit einem Kunstsinn, wie er widerspruchsvoller wohl kaum mit der primitiven Art der Herstellung aller Gerätschaften gedacht werden kann.“[5] Die Einheimischen hätten „einen solchen natürlichen Anstand und solch hohes Feingefühl, wie es uns Europäern nur als Vorbild dienen kann, die wir uns so erha­ben fühlen über die primitiven Eingeborenen.“[6] Es ist auffallend, wie differenziert die zivilisa­torischen Errungenschaften von den deutschen Forschern betrachtet werden – und als wie we­nig geeignet, sich an diesem Maßstab ein Urteil zu bilden von „einer Bevölkerung, die wir, nur weil sie noch keine Kenntnis des Eisens hat, so leicht geneigt sind, als tiefstehend uns gegen­über zu betrachten.“7]

Beamte und Siedler

Wahrscheinlich noch wesentlich nachhaltiger als die Reisen von Forschern wirkten sich die langjährigen tropischen Aufenthalte von Kolonialbeamten, Pflanzern und Händlern auf die Le­bensweise der einheimischen kolonialen Bevölkerung aus. Hier vor allem wird das Eingehen auf die jeweilige Mentalität der Einheimischen zur wirtschaftlich existentiellen Frage. „Wer Kolonialwirtschaft treiben will, darf nie versuchen, Menschen, Sitten und Gebräuche mit un­serm eigenen Maßstabe zu messen, und muß sich vor allem das bei uns allzu häufige Überle­genheitsgefühl gegenüber anders gearteten Wesen abgewöhnen.“[8] Im Gegensatz zu den Mis­sionaren, denen die mehr oder weniger passive Duldsamkeit der Einheimischen genügte, um ihr Missionsziel zu erreichen, waren die Beamten und Siedler in den Kolonien auf die aktive ge­sellschaftliche Teilnahme der Bevölkerung angewiesen. Überließ man, wo nur mit der europäi­schen Rechts- und Wirtschaftsform vereinbar, den Ein­heimischen eine weitgehende Selbstver­waltung, war man auf sie doch als Arbeitskräftepotential angewiesen. Folgedessen wurde eine Reihe von einschneidendsten Eingriffen in das Leben der Einheimischen vorgenommen.[9] Neben der Heranziehung zur Arbeit waren dies die Inanspruchnahme von Land, die Neugestaltung des Rechtslebens und die Einführung eines Bildungssystems. Dem gegenüber standen allerdings nicht zu unterschätzende Vorteile für die Einheimischen: die Befriedung der oftmals in Stam­mesfehden zerrissenen Länder, die medizinische Versorgung, die wirtschaftliche Entwicklung des Landes. Die Verwaltung der deutschen Schutzgebiete „hatte bei allem Bemühen, die ihr anvertrauten Länder planmäßig im Interesse des Mutterlandes zu erschließen und zu entwickeln, stets das Beste der Eingeborenen im Auge. Sie war sich bewußt, daß das wertvollste Gut in allen Kolonien die Menschen sind, die weißen und die farbigen, und daß sie, wenn sie den Interessen der Weißen dienen wollte, die Farbigen gesund, stark, und zufrieden machen mußte, und handelte danach. Mit treuer Anhänglichkeit dankten die Eingeborenen unserer Kolonien diese Fürsorge.“[10] 

Schutztruppe

Ein besonderes Kapitel in den zwischenmenschlichen Beziehungen nehmen selbstverständlich die militärischen Aktivitäten der deutschen Schutztruppe ein, deren Hintergründe zu untersu­chen den Rahmen unserer Betrachtungen sprengen würde. Bemerkenswert für die zugrunde­liegende Einstellung ist aber auf jeden Fall eine Ansprache Kaiser Wilhelms II. an die während des Hottentottenaufstandes 1893/94 nach Deutsch-Südwestafrika abgehende Schutztruppe: „Haben Sie stets vor Augen, daß die Leute, die Sie dort treffen, wenn sie auch eine andere Hautfarbe haben, gleichfalls ein Herz besitzen, das ebenfalls Ehrgefühl aufweist. Behandeln Sie diese Leute mit Milde.“[11] Schließlich darf der in der Schutztruppen-Ordnung von 1898 festgelegte Zweck der Schutztruppen nicht vergessen werden: „Die Schutztruppen dienen zur Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung und Sicherheit in den afrikanischen Schutzgebieten, insbesondere zur Bekämpfung des Sklavenhandels.“[12] Es wird heutzutage gern verschwiegen, daß der Araber­auf­stand 1888/89 in Deutsch-Ostafrika die deutscherseits verfügte Unterbindung des Sklavenhandels als Ursa­che hatte. Das solche und andere Eingriffe in die Landesverhältnisse von der schwarzen Bevöl­kerung als durchaus positiv gewertet wurden, zeigt mit Sicherheit auch die während der schwierigen Jahre des ersten Weltkrieges bezeugte Loyalität und Treue der Einheimischen in Deutsch-Ostafrika. Auch bei der gewiß brisanten Thematik von Aufständen darf man sie doch nicht aus dem Zeitbezug herausreißen. Dazu sei abschließend die Stellungnahme des 1919 von der deutschen Regierung eingesetzten Ausschusses kolonialer Sachverständiger zu der von den Alliierten aufgestellten Behauptung, Deutschland habe kolonisatorisch versagt, zitiert: „Die Behauptung, daß Deutschland wegen schlechter Behandlung der Eingeborenen unwürdig sei, Kolonien zu haben, ist ein heuchlerischer Vorwand, um den Raub unserer Schutzgebiete zu bemänteln. (...) Soweit tatsächlich in deutschen Kolonien Mißgriffe vorgekommen sind, bleiben sie erheblich hinter denen in Kolonialgebieten der Alliierten zurück. (...) Das Schicksal der Hereros war nicht tragischer als u.a. dasjenige der Tasmanier, Australneger, Mahdisten, Matabele und der Kongovölker, ganz zu schweigen von dem der Buren.“[13] Bedauerlicherweise werden derartige historische Zusammenhänge in unserer Zeit oftmals gern übersehen.

Rezensenten

Auch nach der faktischen Beendigung kolonialer Herrschaft blieb der deutsche Kolonialan­spruch – vermutlich nicht einmal mit den schlechtesten Aussichten – noch bis in die Jahre des letzten Weltkrieges hinein bestehen. Dementsprechend beschäftigte man sich in Fachkreisen weiterhin mit diesbezüglichen Fragestellungen. Dabei wurden selbstverständlich die kolonialen Erfahrungen zugrundegelegt. Im folgenden seien einige Auszüge widergegeben; sie sprechen für sich.

„Der Mensch ist der größte und wertvollste Schatz eines Schutzgebietes im deutschen Sinne. Die hehre Aufgabe lautet: zwischen ihm und uns eine durch unsere Einsicht zu leitende Ge­meinschaft zu bilden, aus der beiden Teilen Segen und auch ganz unmittelbarer Nutzen ent­springen soll. Weder Auspowern noch unerbetene und sinnlose Bemutterung durch strickende Kränzchen! Weder überhebliche Verachtung noch die Anforderung, der Eingeborene müsse unseren kulturellen Vorsprung einiger Jahrtausende und unsere ihm nicht in allem gemäße Art in wenigen Jahren einholen bzw. nachäffen.“14]

„Man achte den Farbigen als Menschen, wenn er auch andere Sitten und Gebräuche habe, und schätze ihn seinen Fähigkeiten entsprechend.“15]

„Niemals mische sich der Europäer in Fragen religiöser Art.“16]

„Der Farbige hat seinen eigenen Wert; er ist weder wertvoller noch weniger wert als wir, er ist nur zu einem großen Teil ganz tiefgreifend anders als wir.“17]

„Der Liberalismus, der dauernd davon predigt, er sei menschlich und human, ist die unhuman­ste Einrichtung, die es überhaupt gibt, denn er liefert die wirtschaftlich Schwachen den Rück­sichtslosen erbarmungslos aus, er belehrt ständig und zwingt den Menschen, anders sein zu sollen als er tatsächlich sein will und kann. Und die Mission tut genau dasselbe; darin ist auch sie unhuman. Die Mission verlangt vom Farbigen und zwingt ihn mehr oder minder unter Nachdruck dazu, nicht nur äußere Formen zu übernehmen, die ihm absolut nicht liegen, son­dern sich zu bekennen. Und sie verlangt noch mehr, sie verlangt von ihm, daß er sich in seinem sozialen und seelischen Gesamtverhalten so benehmen soll, wie wir es von uns selbst erwarten. Und dann werden die Leute bestraft und in die Gefängnisse gesteckt für Dinge, die sie vielfach überhaupt nicht begreifen. Liberalismus und Mission sind unhuman, sie sind dogmatisch. Sie bauen sich ein soziales und religiöses Konstruktionsdogma in der Heimat, im Kloster oder in der Villa irgendeines liberalen Theoretikers (...), und nach diesem Konstruktionsbild sind Jahr­hunderte hindurch bis heute die Eingeborenen ‚beherrscht‘ und mit wunder welchen Gütern un­serer Zivilisation und Kultur ‚beglückt‘ worden.“18]

„Aber es war dennoch in allen Kolonisationsgebieten der Eingeborene bis in unsere Gegenwart hinein trotz der liberalen Menschheitslehren und trotz der christlichen Taufe im Grunde nicht viel mehr als ein Gegenstand, der nur seiner Arbeitskraft wegen geschont und gepflegt wurde (...).“19]

Und so schwingt –  bei aller notwendigen Akzeptanz der Tatsachen – unverkennbar der Ton des Bedauerns mit, wenn es heißt: „Die Europäisierung der Erde ist entsetzlich weit vorgeschrit­ten.“20]

Schlußbetrachtung

An das eingangs angeführte Zitat anknüpfend dürfte deutlich geworden sein, daß die Bezie­hungen zwischen Weißen und Einheimischen in den ehemaligen deutschen Schutzgebieten we­sentlich differenzierter zu betrachten sind, als dies heutzutage oftmals geschieht. Die Einstel­lung und das daraus folgende Verhalten der in den Kolonien tätig gewesenen Deutschen zei­gen ein auffallend anderes Bild des Verhältnisses zu den Einheimischen, als es im Großteil der Ge­genwartsliteratur dargestellt wird. Aber, wie so oft, kann allem Anschein nach auch hier nicht sein, was nicht sein darf. Andere Völker mit kolonialer Geschichte haben derartige Pro­bleme nicht.

Anmerkungen


[1] Helbig, L., Imperialismus - das deutsche Beispiel, Frankfurt/M 1976, S.7
[2] Chamisso, A. von, Reise um die Welt, Leipzig/Wien o.J., S. 134
[3] vgl. Asmis, R., Kalamba na M'Putu, Berlin 1942, S.136ff
[4] Wissmann, H. von, Durchquerung Afrikas, Berlin 1907, Teil I, S. 150
[5] Behrmann, W., Im Stromgebiet des Sepik, Berlin 1922, S.51
[6] ebenda S.159f
[7] ebenda S.279
[8] Riedel, O., Der Kampf um Deutsch-Samoa, Berlin 1938, S.37
[9] vgl. Asmis, R., Kalamba na M'Putu, Berlin 1942, S.106ff
[10] ebenda S.162
[11] Matthes, A. (Hrsg.), Reden Kaiser Wilhelms II., München/Wien 1976, S.51
[12] zitiert nach: Schnee, H., Deutsch-Ostafrika im Weltkriege, Leipzig 1919, S.32
[13] zitiert nach: Schnee, H., Deutsch-Ostafrika im Weltkriege, Leipzig 1919, S.425f
[14] Hennig, E., Deutschlands Stellung zur Kolonisationsaufgabe, in: Köhler's illustrierter deutscher Kolonial-Kalender, Minden 1940, S.21
[15] Duisburg, A. von, Wer will in die Kolonien?, Berlin 1938, S.87
[16] ebenda S.89
[17] Hecht, G., Die Bedeutung der Rassenfrage in den Kolonien, in: Das deutsche koloniale Jahrbuch, Berlin 1938, S.82
[18] Hecht, G., Die Bedeutung der Rassenfrage in den Kolonien, in: Das deutsche koloniale Jahrbuch, Berlin 1938, S.74
[19] ebenda S.69
[20] Hennig, E., Deutschlands Stellung zur Kolonisationsaufgabe, in: Köhler's illustrierter deutscher Kolonial-Kalender, Minden 1940, S.19

 

print