Roger Kunert

Was wird aus Afrika?

Was wird aus Afrika?

„Seien wir ehrlich: Wir schaffen es nicht. Wir sind darauf angewiesen, daß die Weißen zurückkommen.“

So lautet 2013 die Überschrift eines Artikels der panafrikanischen Zeitschrift „Chimurenga Chronic“. Der dies sagt, ist einer der bekanntesten afrikanischen Regisseure, der 1966 in Kamerun geborene Filmemacher Jean-Pierre Bekolo.

Natürlich paßt derlei nicht in die euphorische Weltsicht westlicher Afrika-„Experten“:

Wolf Poulet meint: „Zahlreiche Berichte rühmen die prosperierende Entwicklung Afrikas, beantworten aber nicht die Frage, warum ein großer Teil der Jugend den Kontinent verlassen möchte. Die Antwort ist nicht schwer. Das Wirtschaftswachstum, überwiegend Erlöse aus den Bodenschätzen, kommt nach wie vor nur einer kleinen Elite zu. Korruption, Geldwäsche, Steuerflucht – die Summe übertrifft bei weitem die jährlich geleistete Entwicklungshilfe. ‚Schlechte Regierungsführung ist in den allermeisten afrikanischen Ländern ein treibender Faktor für die massenweise Auswanderung; all die ‚demokratischen Diktatoren‘ klammern sich an die Macht‘, sagt ein Demokratieaktivist aus Niger.“[1]

Bekolo führt weiter aus:

„Nach 52 Jahren der Unabhängigkeit müssen wir uns eingestehen: Die Ideologien der Selbstbestimmung und der Unabhängigkeit, die aus den nationalen Befreiungsbewegungen hervorgingen, und die wir früher alle unterstützt haben, lassen sich mit den Realitäten der Globalisierung nicht vereinbaren. Wir befinden uns in einer Sackgasse. Es ist überdeutlich geworden, daß wir unser Ziel nicht erreichen werden, wenn wir darauf beharren, alles alleine zu tun. Das ist uns über den Kopf gewachsen. (…)

Das koloniale Projekt war viel erfolgreicher, als seine Initiatoren es je vermutet hatten. Als es nicht mehr als akzeptabel galt, ein Kolonist zu sein, sprang der Pilot mit dem Fallschirm ab. Ein anderer übernahm das Steuer – er hat jetzt alles unter Kontrolle –, aber er ist inkompetent und hat noch nicht einmal einen Flugplan.

Er behauptet, im Cockpit zurechtzukommen, doch in Wahrheit ist er auf einem Egotrip. Sein einziges Ziel ist es, zu seinem eigenen Wohlbefinden Ressourcen auszubeuten, die der Allgemeinheit gehören. Wir müssen die Uhr bis zu dem Punkt zurückdrehen, wo die Dinge anfingen, schief zulaufen, zu dem Punkt, als die Lügen und die Heuchelei begannen. (…)

Wenn es gelingen sollte, negative Erscheinungen wie Ausbeutung und Unterdrückung abzustellen, wird die Idee der Re-Kolonisierung bei den Afrikanern gut ankommen.

Sie wissen einfach nicht mehr weiter. Selbst wenn es darum geht, unsere Kulturen zu bewahren, sind es Weiße, die sich wirklich um sie kümmern. Als ob sich seit den Zeiten der Sklaverei nichts geändert hätte! Wir sollten Jacques Chirac für das Musée Branly dankbar sein: Dort zumindest wird unser Erbe bewahrt. (…)

Seien wir doch ehrlich: Was funktioniert bei uns noch? Wollen wir nicht nur unser Ego schützen, wenn wir behaupten, das Land zu regieren? Wir haben versucht, einen modernen demokratischen Staat zu bauen. Wir haben versagt.

Es ist Zeit, mit der Heuchelei aufzuhören und nach vorne zu blicken. Wir sollten nicht vergessen, daß nicht wir es waren, die unser Land geschaffen haben. Kamerun ist eine Erfindung des Westens. Es ist sein Land, unsere Gesetze sind seine Gesetze. Sogar unser Name ist eine westliche Erfindung. Die Weißen nannten es nach dem portugiesischen Wort für Shrimps – camaroes – und wir sind stolz darauf. Wie können wir hoffen, in der Welt zurecht zu kommen, wenn wir in einer kolonialen Schale ohne jeden Inhalt leben? (…)

Der Begriff der Selbstbestimmung ist nur noch eine politische Waffe in den Händen einer korrupten einheimischen Elite. Diese Elite behauptet, es mit den westlichen Mächten aufnehmen zu wollen, während sie in Wahrheit das Volk in ein ideologisches Gefängnis sperrt und bis auf die nackte Haut ausraubt. Wir brauchen die Fremden, um die vielen Probleme zu lösen, mit denen wir konfrontiert sind. Sagen wir es laut und deutlich: Schluß mit dem Schweigen, in dem wir verbargen, was alle wußten: Wir brauchen alle Hilfe von außen, die wir bekommen können.“[2]

Das ist eine schonungslose Bestandsaufnahme, zuweilen sicherlich auch provozierend, aber im Kern wohl ernstgemeint.

Was war der Ausgangspunkt am Ende der Kolonialzeit?

Bruno Bandulet schreibt: „Der europäische Kolonialismus war keine Sondererscheinung der Weltgeschichte. Ohne die koloniale Expansion gäbe es keine USA und kein asiatisches Rußland. Ohne die Araber stünde keine Alhambra in Granada, ohne die Römer und ihren Kolonialismus gäbe es keine französische oder spanische Sprache und Kultur. Daß in ein Vakuum Kräfte einströmen, daß sich Kulturen und politische Großorganisationen ausdehnen und wieder schrumpfen, ist der übliche Ablauf der Geschichte.

Realisten wundern sich über so etwas nicht, sie fragen lieber: Was wäre geschehen, wenn die Europäer Schwarzafrika nicht in Besitz genommen hätten? Antwort: Dann gäbe es dort keine Krankenhäuser und Kirchen, keine Antibiotika und Schulbücher, keine Straßen und Flugplätze, keine Eisenbahnen und Fabriken. Es gäbe kein Kenia oder Tansania oder Nigeria. Und in Afrika lebten nicht über 400 Millionen Menschen, sondern ein Bruchteil davon, denn die Kolonialherrschaft bewirkte eine rapide Bevölkerungsvermehrung.

Als die Weißen Ende des 19. Jahrhunderts nach Rhodesien kamen, betrug die Bevölkerung wegen ständiger Stammeskriege nicht mehr als eine halbe Million. Heute leben dort über sechs Millionen Schwarze. (Die Bilanz in den USA, die in Afrika jetzt auf Kosten anderer die eigene Vergangenheit zu bewältigen suchen, sieht anders aus: Bis zum Ende des 19. Jahrhunderts wurden die Indianer nördlich des Rio Grande von einer Million auf unter eine Viertelmillion dezimiert.) Ohne den europäischen Kolonialismus wäre Afrika überhaupt nicht in die Weltpolitik eingetreten – oder aber, wahrscheinlicher noch, die Araber hätten den Kontinent kolonisiert, womit sie bereits begonnen hatten.

Eine moralische Bilanz des europäischen Kolonialismus ist eben nicht leicht zu ziehen: Er hat Leid über die Welt gebracht, sie aber auch humaner gemacht. Völkerkundler mögen das Aussterben der alten Sitten insgeheim bedauern, aber es ist wohl kaum anzunehmen, daß die bis zu 20.000 Gefangenen pro Woche, denen homosexuelle Priester in Mexiko vor Ankunft der Spanier das Herz herausschnitten, daß die Hunderttausende, die in Afrika in blutigen Riten geopfert wurden, oder daß die Witwen, die in Indien ins Feuer mußten, mit Vergnügen aus dem Leben schieden. Es stimmt aber auch, daß mit Zivilisierung, Christianisierung und dem Import westlicher Denk- und Verhaltensweisen kulturelle Identität zerstört wurde. Darunter leidet heute weniger Asien, dessen hochentwickelte Kulturen die Konfrontation mit dem Westen leichter bestanden, sondern vor allem Afrika. Die schwarzen Eliten sind moralische und intellektuelle Wanderer zwischen zwei Welten, der europäischen und der afrikanischen. Die Kolonialzeit, so kurz sie war, hat Selbstentfremdung und Minderwertigkeitsgefühle, die oft in agressiven Rassismus umschlugen, hinterlassen. (…)

Die wirtschaftliche Bilanz des Kolonialismus fällt allerdings, anders als die moralische, fast nur positiv aus. (…) Gerade in der wirtschaftlichen Aufbauleistung, in Verwaltung, Verkehrswesen, der Übermittlung von technischem Wissen, liegt das eigentliche und vielleicht einzige Verdienst des Kolonialismus.“[3]

Zu ähnlichen Erkenntnissen wie Bekolo kamen früher schon andere.

Der afroamerikanische Journalist Keith Richburg stellt nach mehrjährigem Aufenthalt als Korrespondent der „Washington Post“ 1998 fest:

„Natürlich wurden die Länder unabhängig, die Flaggen wechselten, die Namen wurden afrikanisiert, neue Nationalhymnen wurden gesungen, neue Feiertage gefeiert. Das Bild des Großen Mannes ersetzte das der Queen. Aber in einem Land nach dem anderen wechselte die Macht nur von einer weißen Kolonialherrschaft auf eine einheimische schwarze über – und das Ergebnis war mehr Unterdrückung, mehr Brutalität. Für die Afrikaner, die normalen, anständigen, leidgeprüften Afrikaner, hat sich herzlich wenig verändert.

Diese Analyse mag hart erscheinen, übertrieben. Aber dafür kann ich keine Entschuldigung anbieten, denn ich war dort, und ich möchte es Ihnen so ehrlich schildern, wie ich es gesehen habe. Denn das ist eines der größten Probleme Afrikas: dieser völlige Mangel an offenen Gesprächen nicht einmal unter – oder vielleicht sollte ich sagen: gerade unter – den Freunden Afrikas.“[4]

Und geradezu brutal offen sagt er: „ (…) ich habe es satt zu lügen. Und mir kann die ganze Ignoranz, die Scheinheiligkeit und Doppelmoral gestohlen bleiben, auf die man allenthalben stößt, wenn über Afrika geredet oder geschrieben wird. Vieles davon von Leuten, die niemals dort waren (…)“[5]

Auch die Kameruner Journalistin Axelle Kabou schreibt schon 1995, daß „Afrika seine Unfähigkeit bewiesen hat, das Staatswesen zu verwalten.“[6]

Beide, Richburg und Kabou, stimmen insofern mit Bekolo überein, doch reden sie nicht einer „Hilfe von außen“, geschweige denn einer Re-Kolonisierung das Wort.

Kabou meint: „Die Afrikaner sind die einzigen Menschen auf der Welt, die noch meinen, daß sich andere als sie selbst um ihre Entwicklung kümmern müssen. Sie sollen endlich erwachen.“[7]

Und Richburg schreibt: „Afrikaner könnten diesen Prozeß beginnen, indem sie einen nüchternen kritischen Blick auf sich selbst richten. Sie könnten beginnen mit der Analyse ihres selbstzerstörerischen Hangs, alle Arten von Leid zu ertragen und auf Erlösung von außen zu warten.“[8]

An diesem „kritischen Blick auf sich selbst“ scheint es aber noch immer – von wenigen Ausnahmen abgesehen – zu fehlen.

Kabou „fällt auf, daß es wenige systematische afrikanische Analysen zu den innenpolitischen Ursachen für die Unterentwicklung Afrikas gibt. Die Afrikaner sind offensichtlich wenig geneigt, selbst über ihren Rückstand nachzudenken.“[9]

Sie führt dies auf „die geistige Trägheit des Afrikaners“[10] zurück.

Und darauf, „daß der Afrikaner heute völlig unfähig ist, sich selbst als ein Wesen zu begreifen, das den Lauf seiner eigenen Existenz bestimmen kann. (…) daß Afrika mittlerweile davon überzeugt ist, nicht im geringsten für sein Schicksal verantwortlich zu sein. (…) daß sich die Afrikaner ihre Unterentwicklung im allgemeinen als das Resultat von Machenschaften und des bösen Willens fremder Mächte vorstellen, die seit vier Jahrhunderten entschlossen sind, Afrika in einem Zustand der Abhängigkeit zu halten.“[11]

„Transparenz, Folgerichtigkeit und logisches Denken sind ihnen verhaßt. Auf allen Stufen der Gesellschaft (…) neigen die Afrikaner zum Improvisieren, sie leben in den Tag hinein und sind unfähig zu langfristigen Planungen. Für den Fall eines Fehlschlages ist außer der Hoffnung auf eine Intervention aus dem Ausland, die im übrigen als eine historische Schuld angesehen wird, nichts vorgesehen. So ist Afrika, so sind die Afrikaner: Menschen mit einer Art zu denken und zu handeln, die folgenschwer für das tägliche Leben ist, die aber nie auf der langen Liste der offiziellen Ursachen für die Unterentwicklung auftaucht.“[12]

Richburg sieht – wenn auch mit anderer Richtung – tatsächlich eine Verantwortlichkeit „fremder Mächte“: „So gesehen haben die alten afrikanischen Tyrannen recht – es gibt wirklich eine weiße Verschwörung, die die Schwarzen unten hält. Nur ist es nicht die, an die sie dabei denken (…) Ich spreche von der großen Verschwörung des Schweigens, der kollektiven Bereitschaft der Weißen im Westen, den Kopf in den Sand zu stecken, wenn es um Afrika geht.“[13]

„Der Grund dafür ist natürlich, daß Afrikaner schwarz sind. Zu harte Kritik von weißen, westlichen Ländern klingt gefährlich nach Rassismus. Und die afrikanischen Führer sind durchaus bereit, diese Karte auszuspielen (…) Meiner Meinung nach erweist man mit dieser Zurückhaltung, offen über Afrika zu reden, dem Land einen Bärendienst.“[14]

„Es ist eine häßliche Wahrheit, aber ich werde sie hier aussprechen, weil Afrikas Fehler schon zu lange hinter einem Schleier von Entschuldigungen und Verteidigungen versteckt wurden. Es ist mir klar, daß ich mich dabei auf vermintem Terrain bewege, also werde ich vorsichtig sein. Man macht es sich zu leicht, wenn man in die Falle der alten rassistischen Vorurteile stolpert – daß Afrikaner faul und Asiaten einfach schlauer seien, daß Schwarze noch immer etwas Wildes, Primitives an sich hätten. Ich bin zwar kein Afrikaner, aber ich bin schwarz, und deshalb werde ich mich auf dieses Gebiet vorwagen. (…)

Werfen wir zuerst einen Blick auf die Statistiken, die harten und kalten Fakten, von denen leider viele bereits allzu bekannt sind. Laut Weltbank ist Afrika der Kontinent mit den ärmsten Ländern der Welt – und dabei werden Länder wie Somalia noch nicht mal richtig mitgezählt, wo es keine sinnvollen Statistiken gibt, weil es keine Regierung gibt, die sie erstellen ließe. Die Kinder in Afrika sterben von allen Kindern auf der Welt am wahrscheinlichsten bereits vor ihrem fünften Lebensjahr. Die Erwachsenen haben weltweit die geringste Erwartung, älter als fünfzig Jahre zu werden. Afrikaner sind im Durchschnitt schlechter ernährt, schlechter ausgebildet (…) Afrikas Wirtschaft ist geschrumpft. Sein Anteil am Weltmarkt hat sich seit 1970 um die Hälfte verringert (…) Mit Ausnahme von Südafrika ist der afrikanische Kontinent auf einem ökonomischen Abstellgleis gelandet, ist auf eine irrelevante Randposition im Welthandel verwiesen worden.[15]

Bandulet berichtet: „14 afrikanische Länder, so stellte die UN-Wirtschaftskommission für Afrika 1977 fest, haben seit ihrer Unabhängigkeit Anfang der sechziger Jahre überhaupt kein Wirtschaftswachstum erzielt. Oft ist der wirtschaftliche Standard, den sie damals hatten, sogar zurückgegangen. Augenzeugen bestätigen, daß in solchen – trotz aller ‚Entwicklungshilfe‘ – entwicklungsunfähigen Ländern der Film seit dem Auszug der Kolonialherren rückwärts läuft.“[16]

Und über den Kongo stellt Peter Scholl-Latour fest: „Seit der Unabhängigkeit ist dort der landwirtschaftliche Anbau um neunzig Prozent zurückgegangen.“[17]

Kabou stimmt dem zu: „Alles in allem ist Afrika der Kontinent, der die schlechtesten Leistungen der Welt aufweist“[18] und zitiert Ndeshyo Rurihose: ‚Afrika erbringt mit Sicherheit die schlechtesten Leistungen im Bereich des Bruttosozialprodukts, der Industrialisierung, der Technologie, der Hygiene, der primären Gesundheitsversorgung und der Nahrungsmittelproduktion. Der Kontinent schlägt in allen Bereichen sämtliche Negativrekorde, und seine Entwicklung geht seit 1960 ständig zurück (…).‘“[19]

Kabou zitiert außerdem eine Äußerung des ghanaischen Präsidenten Kwame Nkrumahs von 1963: „Die Welt bewegt sich nicht mehr mit der Geschwindigkeit der Kamele oder der Esel! Wir können es uns nicht mehr leisten, unsere Entwicklungsprobleme und unsere Sicherheitsbedürfnisse mit dieser langsamen Geschwindigkeit anzugehen.“[20] und meint dazu: „Er stimmte unverfroren mit dem weißen Eroberer überein, daß Afrika rückständig sei, und er sagte dies ohne Umschweife.“[21]

Aber woran liegt das denn nun?

Kabou meint, „daß sich der Afrikaner für die Gegenwart gar nicht zuständig fühlt. Anders ausgedrückt: Was heute geschieht, sind für ihn lauter Folgen der Kolonialzeit. Und von da bis zu der Meinung, man sei von den mit der Gegenwart verbundenen Verpflichtungen befreit, ist es nur ein kleiner Schritt, den Schwarzafrika sehr schnell vollzogen hat. (…) Unter diesen Umständen werden Trägheit und Unbeweglichkeit alles in allem als die beste Art und Weise betrachtet, die ‚fremde‘ Epoche zu überdauern, bis die gesegnete Stunde anbricht, da Afrika noch einmal in die Zeit vor der Ankunft der Europäer versetzt wird und in eine wirklich afrikanische Zukunft aufbrechen kann. (…) Statt von der Phase der Entkolonialisierung zu profitieren, um Neues zu erproben, wiederholen die Afrikaner bis zum Überdruß, daß sie gar nicht von dieser Zeit seien, und kommen sich erst noch originell vor dabei. Die Unterentwicklung ist also vor allem Ausdruck einer Verblendung (…). Es ist gefährlich, in dieses in Afrika sehr verbreitete Denken einzustimmen. Denn wer so denkt, neigt dazu, die ungewöhnlich schlechten Leistungen der Afrikaner zu entschuldigen (…).“[22]

„Weshalb haben es die Asiaten, die als ‚Schlitzäugige‘ und ‚gelbe Teufel‘ von den Weißen ebenfalls verachtet wurden, dennoch geschafft, die Herausforderung anzunehmen? Die Antwort ist einfach: Jedes Volk ist für seine gesamte Geschichte selbst verantwortlich. Ein Gedanke, den man in Afrika nicht genug wiederholen kann, wo man dazu neigt anzunehmen, die Interessen eines Volkes könnten von Ausländern vertreten werden. Das ist historischer Unsinn.“[23]

„Im übrigen haben in Afrika dreißig Jahre Entwicklungshilfe die durch die koloniale Ausbeutung erlittenen Verluste vermutlich nahezu ausgeglichen.“[24]

Auch für Richburg ist die nun schon lange zurückliegende Kolonialzeit kein Argument: „Wenn Sie mir jetzt mit dem Erbe des Kolonialismus kommen, verweise ich Sie auf Malaysia und Singapur, das von den Briten regiert und während des Zweiten Weltkriegs von den Japanern besetzt wurde. Oder auf Indonesien, das von den Holländern über drei Jahrhunderte lang ausgebeutet wurde. Oder schauen wir auf Vietnam.“[25]

Kabou sieht die Ursachen der Rückständigkeit Afrikas demzufolge in Afrika selbst: „Afrika liegt nicht im Sterben, sondern es begeht in einer Art kulturellem Rausch, der lediglich moralische Befriedigung hervorbringt, Selbstmord. (…) Man müßte zunächst die afrikanische Mentalität entgiften, die Uhren richtig stellen und die Menschen in Afrika mit ihrer Verantwortung konfrontieren. (…) Das einfache Aussprechen dieser Wahrheit löst sofort Abwehr und eine Flut von Protesten aus, die verhindern, daß sie sich durchsetzen kann.“[26]

„Die geistige Leere Afrikas wird bald offen an den Tag kommen. (…) Die unabdingbaren Voraussetzungen von Entwicklung sind im Sozialismus und im Liberalismus die gleichen: Intellekt, technisches Wissen, Finanzen und Organisation. (…) Wer je in Afrika gelebt und gearbeitet hat, weiß, daß die Probleme dieses Kontinents vor allem darin bestehen, daß es keine Organisation, keine Motivation, keine Kontrolle und eine ungenügende Produktion gibt – Probleme, die keine politische Ideologie wird lösen können, solange die Afrikaner es als ihre historische Rolle betrachten, sich von der Entwicklung in der Welt fernzuhalten.“[27]

Kabou spricht von einer „Fortschrittsverweigerung in Schwarzafrika“[28]

„Man muß sich in der Tat fragen, was aus Afrika werden soll, solange Entwicklung als die Verneinung des afrikanischen Seins und Wesens betrachtet wird (…). Die Denkweise Afrikas ist so verknöchert, daß der Afrikaner noch nicht einmal bemerkt hat, daß die heutige westliche Welt nicht nur aus den ehemaligen Kolonialmächten besteht, sondern auch aus Brasilien, Japan, Südkorea, Indien, China, Pakistan etc.“[29]

„Die Afrikaner, die ihren Rückstand als einen stummen Vorwurf des Zurückgebliebenseins gegenüber dem Westen begreifen und sich hinter ihren kulturellen Werten verschanzen, sollten erkennen, daß sie sich damit nur selber eine Falle stellen. Sie sollten aufhören, vom Westen weitere Entwicklungshilfe zu fordern, da die Hilfsprojekte (…) lediglich dazu beitragen, daß Fatalismus und Armut fortbestehen.“[30]

Kurt Gerhardt, ehemaliger Landesbeauftragter des Deutschen Entwicklungsdienstes im westafrikanischen Niger, sieht dies genauso: „Es gibt Leute, die sagen, man müsse mehr Entwicklungshilfe geben. Meine Meinung ist, daß wir in den vergangenen Jahrzehnten wahrscheinlich zu viel an Entwicklungshilfe gegeben haben. Wir haben eine unglaubliche Abhängigkeit geschaffen, also genau das Gegenteil dessen, was Hilfe leisten soll.“[31]

„Das Geben und Nehmen festigt die Abhängigkeit Afrikas und verhindert Entwicklung. Es mißachtet die banale Einsicht, daß Entwicklung immer nur das sein kann, was Menschen und Gesellschaften für ihr Fortkommen selbst leisten. Was wir tun, ist ziemlich uninteressant. Was sie tun, die Afrikaner, ist entscheidend. Ihre Eigendynamik ist durch nichts zu ersetzen, auch durch keine noch so gut gemeinte Hilfe von außen.

Mit der Entwicklungsdynamik Afrikas sieht es schlecht aus. Natürlich gibt es für alles gute und leuchtende Beispiele, aber typisch für den Kontinent sind sie nicht. Wer Entwicklungsdynamik erleben will, muss auf die quirlige Betriebsamkeit aufstrebender Länder Ostasiens schauen, wo internationale Entwicklungshilfe eine geringe Rolle spielt.

Wer Afrika bereist, spürt etwas anderes: viel Lethargie und zu wenig von diesem Drängen, diesem Eifer, es schaffen zu wollen. Besonders die ökonomische Entwicklung leidet unter einem Mangel an Gründlichkeit, Planung und Verläßlichkeit, wie auch daran, daß der afrikanische Familienclan einem Mitglied, das wirtschaftlichen Erfolg hat, die Früchte seiner Arbeit nicht läßt, sondern seinen Anteil daran fordert. Dazu blockiert der in allen gesellschaftlichen Schichten immer noch verwurzelte Geisterglaube rationales Denken und Handeln. Sozio-kulturelle Erklärungen solchen Verhaltens sind interessant, bringen aber die Entwicklung nicht voran. (…)

Bei jedem Auftauchen eines Problems nach ausländischen Gebern und Helfern zu rufen, die es lösen sollen, wird sie nicht weiterbringen. Aus Washington, Brüssel oder Berlin wird ihnen das Heil niemals kommen. Es wird entweder aus ihren eigenen Köpfen und Händen kommen – oder gar nicht.“[32]

Auch Bandulet stimmt dem zu: „Entwicklungshilfe hindert ihre Länder daran, wirtschaftlich reif und selbständig zu werden. Denn – wem unbefristet geholfen wird, der hat es gar nicht nötig, sich auf die eigenen Füße zu stellen.“[33]

„Die Entwicklungsländer (…) haben ein großartiges Potential an Begabungen und Nachwuchskräften, nur liegt es brach. Sie könnten leicht den letzten deutschen und amerikanischen Entwicklungshelfer nach Hause schicken, wenn ihre jungen Leute sich nur entschlössen, die Ärmel hochzukrempeln. Aber sie wurden daran gewöhnt, daß andere die Arbeit für sie tun.“[34]

Kabou weiter: „Es besteht gar kein Zweifel, daß die Auffassung von Kultur und Tradition, die sich in Afrika nach Erlangung der Unabhängigkeit durchgesetzt hat, ein Bremsklotz für die Entwicklung ist. Das Recht auf kulturelle Eigenart hat in Afrika lediglich Stillstand, Widerstand gegenüber der Moderne und intellektuelle Verkalkung legitimiert.“[35]

„Der wahre Grund [für die geringe Produktivität im neueren Afrika] ist (…) die Verweigerung der Entwicklung. (…) [Man] erfindet (…) mystische Afrikaner, die antimaterialistisch veranlagt sind, dem Geld gleichgültig gegenüberstehen und allein von der Geborgenheit in der Gemeinschaft leben. (…) Die implizite Argumentation lautet: ‚Da wir durch die Maschine, die der Kolonisator mitbrachte, unterworfen wurden, entfernen wir sie doch aus unserem kulturellen Umfeld, und alles wird wieder zur gewohnten Ordnung zurückkehren.‘“[36]

Kabou faßt zusammen: „Afrika ist unterentwickelt und es stagniert, weil es Entwicklung entschieden ablehnt.“[37]

Auch Richburg zieht den Vergleich zu asiatischen, ehemaligen Kolonialgebieten: „Warum hat sich Südostasien zu einem Modell wirtschaftlichen Erfolgs entwickelt, während Afrika fast ausschließlich Armut, Hunger und eine Wirtschaft kennt, die sich nur mit Hilfe ausländischer Mittel über Wasser halten kann? (…) Beide Regionen schüttelten etwa zur gleichen Zeit den Kolonialismus ab und standen oft vor den gleichen Hindernissen.“[38]

Und er hat eine weitere Antwort zu den Ursachen des Scheiterns: „Korruption ist der Krebs, der das Herz Afrikas auffrißt. Korruption hält die Politgangster in Afrika an der Macht, und mit dem Geld, das sie stehlen, können sie es sich bei großzügiger Verteilung erlauben, Treue einzufordern auch dann noch, wenn bereits der letzte Fetzen von Legitimität verschwunden ist.

Natürlich gibt es auch in Südostasien Korruption. Sogar in großem Stil. (…)

Und doch ist Korea eine wirtschaftliche Großmacht, hat Indonesien die Armut innerhalb der letzten fünfundzwanzig Jahre jährlich stärker reduziert als jedes andere Entwicklungsland der Welt, und haben Thailand, Vietnam und China jährliche Wachstumsraten zwischen acht und zehn Prozent.

Dies alles steht im Gegensatz zu Afrika, wo die Korruption genauso weit verbreitet ist, aber mit völlig anderen Ergebnissen.“[39]

Richburg zitiert einen amerikanischen Diplomaten: „’In Indonesien mag zwar die Tochter des Präsidenten den Auftrag bekommen, Straßen zu bauen‘, sagte der Diplomat, ‚aber die Straßen werden gebaut und entlasten den Verkehr.‘ In Afrika werden die Straßen niemals gebaut. Das war der Unterschied, sagte er, ‚zwischen produktiver Korruption und tödlicher Korruption.‘“[40]

Gerhardt stellt fest: „Diejenigen, denen in den vergangenen Jahrzehnten politische Verantwortung übertragen wurde, haben katastrophal versagt. Das wird bei uns gerne beschönigt. Beispielsweise in Westafrika gibt es keine einzige gute Regierung, keine einzige, die für das Wohl des Volkes etwas tun will. Deren erster Gedanke ist, sich die eigenen Taschen vollzustopfen. Das geschieht mit einer unglaublichen Maßlosigkeit. Der Sohn des früheren senegalesischen Präsidenten etwa sitzt im Knast, weil er eine Milliarde Dollar an sich gerissen hat. (…)“[41]

Bandulet schreibt: „Ihren Lebensstil haben die Eliten den Kolonialherren abgeschaut, nur deren Leistungsstandard vergaßen sie nachzuahmen. Sie wohnen in luxuriösen Bungalows mit großer Dienerschar, sie fahren die teuersten Autos, sie kleiden sich, trinken und essen wie die europäischen Vorbilder. (…) Der finanzielle Aufwand der afrikanischen Establishments, so wurde errechnet, ist wahrscheinlich, bezogen auf die jeweiligen Volkseinkommen, höher als der des Hofstaates von Ludwig XVI. im Jahre 1788.“[42]

Und Richburg weiter: „Aber es ist immer noch nicht die Antwort auf die Frage: Warum? Gibt es irgend etwas in der Natur des Afrikaners, das ihn anfällig macht für Korruption? Warum bringt Asien einen Lee Kuan Yew und einen Suharto hervor, während statt dessen Afrika so viele Mobutus, Mois, Aidids und Hastings produziert?

Stimmt da was nicht mit der afrikanischen Kultur?

Es gelang mir, eine ziemlich gute Antwort zu finden, die aus einer ganz unerwarteten Quelle stammt – ich fand sie bei Yoweri Museveni, dem Präsidenten von Uganda.“[43]

„’Es ist die Disziplin der Asiaten, verglichen mit der der Afrikaner. (…) Leute, die aus einem Gebiet kommen, das eine große Bevölkerungsdichte hat, wo der Kampf um die natürlichen Ressourcen groß ist, neigen dazu, disziplinierter zu sein als Leute, die das Leben als selbstverständlich betrachten. Knappheit an Ressourcen lehrt die Menschen Disziplin‘, sagte er. ‚Zuviel Kampf um Ressourcen lehrt ein Volk ebenfalls Disziplin.‘

Es war eines der wenigen Male auf dem Kontinent, daß mich ein afrikanischer Führer beeindruckte, weil er wirklich bereit war, offen über Afrika und seine Probleme zu diskutieren. Diese Art Unvoreingenommenheit ist noch seltener unter Afrikas Freunden und Förderern im Westen zu finden. Anstatt offen über Afrika zu sprechen, hört man allenthalben nur Zweideutigkeiten, Entschuldigungen und Ausflüchte – und vor allem Scheinheiligkeit.“[44]

Die Erkenntnisse von Kabou und Richburg gab es schon rund zwanzig Jahre früher, nur hatten sie damals den „Schönheitsfehler“, aus einem weißen Mund zu kommen.

So schreibt Bandulet 1978: „Zynismus der Eliten, Teilnahmslosigkeit der Massen, dies ist die Erklärung für wirtschaftliche Stagnation und soziale Ungerechtigkeit in Afrika. (…) Eine Alternative ist nicht in Sicht, weil es die Leute nicht gibt, die die herrschenden Eliten ablösen könnten.“[45]

„Für die Rückständigkeit und Entwicklungsunfähigkeit weiter Gebiete Afrikas lassen sich (…) verschiedene Erklärungen finden: Korruption, Bürokratismus, Sozialismus, Gewalt und Terror, Versagen der Eliten und Entwicklungsfeindlichkeit der Massen.“[46]

„Europa, Japan, Argentinien und andere kannten keinen Teufelskreis der Armut, weil die Menschen den Willen zum Fortschritt hatten. In nicht wenigen Entwicklungsländern sind viele Voraussetzungen – Boden, Klima, Know-how, selbst Kapital – heute sogar besser, als sie es dort waren. Aber die farbigen Regierungen ergehen sich in Selbstmitleid und suchen die Verantwortung für Stagnation und Rückschritt immer nur bei anderen – ganz so, als wären sie nie erwachsen geworden und als seien die Kolonialherren immer noch für sie zuständig. Dabei haben sie das beste Beispiel dafür, was Disziplin und Fleiß zustande bringen können, vor der eigenen Haustür: Rhodesien.

Nach sämtlichen Regeln der Entwicklungshilfe-Ideologie hätte Rhodesien, das 1965 seine Unabhängigkeit erklärte (auch eine antikolonialistische Tat), schon nach kürzester Zeit wirtschaftlich zusammenbrechen müssen. (…) Was geschah? Rhodesien erlebte einen phänomenalen wirtschaftlichen Aufschwung (…). Bewirkt haben dies: eine ungewöhnlich tüchtige, zähe und erfindungsreiche weiße Führungsschicht und eine schwarze Bevölkerung, die in Rhodesien gebildeter, fleißiger und wirtschaftlich motivierter ist als fast überall sonst in Afrika.“[47]

Als aus Rhodesien Simbabwe wurde, war es damit vorbei. Immerhin war es doch irgendwie das „Modell“, das Bekolo vorzuschweben scheint.

Richburg fragt, ob etwas mit der „afrikanischen Kultur“ nicht stimme.

Bandulet führt dazu eine Untersuchung an: „Wissenschaftler haben die Lebens- und Arbeitsgewohnheiten von Eingeborenen im Kongogebiet untersucht. Z. B. beobachteten sie zwei Wochen lang zwölf erwachsene Männer. Jeder von ihnen arbeitete pro Woche zweiundzwanzigeinhalb Stunden – sie fischten, jagten oder sammelten Nahrungsmittel, gingen also Tätigkeiten nach, die unseren Freizeitbeschäftigungen ähneln. Sie fühlten sich weder ausgebeutet noch entrechtet, und sie ließen auch keinerlei Neigung erkennen, dieses Leben zu ändern. Aber in der Statistik der UNO und den Broschüren des Bonner Entwicklungshilfeministeriums erscheinen sie in der Spalte derer mit einem Pro-Kopf-Einkommen von vielleicht einer Mark pro Tag. Und jeder hält das für eine himmelschreiende Ungerechtigkeit (…)“[48]

Und Scholl-Latour führt aus: „Hier möchte ich wiederum einen amerikanischen Kronzeugen zitieren. Das ist ja das Erfrischende an den USA, daß in der ‚Los Angeles Times‘ zum Beispiel Gedankengänge entwickelt werden können, die in Frankfurt oder München auf helle Empörung stoßen würden. (…) Niemand, so schreibt Pfaff, hätte es gewagt, über die ausschlaggebende Rolle der afrikanischen ‚Kultur‘ zu sprechen. ‚Das wäre rassistisch gewesen.‘ Bis in die fünfziger Jahre unseres Jahrhunderts, so heißt es weiter, wurde Afrika im allgemeinen als eine Region prämoderner Kultur betrachtet, die sich unter sehr unterschiedlichen Völkerschaften entwickelt hatte. Dazu zählten primitive Landwirtschaft, nomadische Viehzucht oder Jagen und Sammeln.“[49]

Scholl-Latour zitiert einen Iren vom Welt-Ernährungs-Programm: „’Stellen Sie sich vor, in diesen unendlichen Sümpfen [des Bahr-el-Ghazal in Sudan] würden Chinesen oder Kambodschaner leben. Sie hätten die Wildnis längst in eine wohlgeordnete, blühende Reislandschaft verwandelt, deren Ernten halb Afrika ernähren könnten.‘ Eben noch hatte uns ein einheimischer Bauer ein paar kümmerliche Sorgum-Dolden, seinen Vorrat an Hirse, gezeigt. Er lamentierte über die bevorstehende Mangelperiode, die sein Stamm nur dank der Luftversorgung diverser NGOs [Nicht-Regierungs-Organisationen] überstehen könne. (…) ‚An die Anlage von Reisfeldern denken sie überhaupt nicht.‘ Aus den benachbarten Hütten klingt das Stampfen der schweren Kolben, mit denen die Frauen in mühevoller Arbeit den Sorgum zermahlen. Im Wasser des Bahr-el-Ghazal sind ein paar Männer dabei, wie in frühester Steinzeit die Fische mit dem Speer zu erlegen. Vergeblich haben sich ausländische Experten darum bemüht, ihnen die Nützlichkeit von Netzen beizubringen.“[50]

Scholl-Latour spricht vom Hochland von Angola, „dessen Boden so fruchtbar ist, daß hier Nahrung für halb Afrika geerntet werden könnte, so behaupten die Agronomen. Weit und breit ist keine Siedlung zu entdecken.“[51]

Kabou bringt es – rein ökonomisch betrachtet – auf den Punkt: „(…) der Afrikaner ist zwar im Vergleich zu den Lebenshaltungskosten unterbezahlt, im Vergleich zu dem, was er leistet, ist er jedoch überbezahlt.“[52]

Bandulet dagegen äußert Verständnis für die „afrikanische Kultur“, wenn er schreibt: „Wirtschaftliche Entwicklung ist, wie die Geschichte der Industrialisierung Englands oder Japans beweist, nicht angewiesen auf den Zufluß ausländischen Kapitals, sie ist vielmehr eine Frage der Wirtschaftsgesinnung, der geistigen Einstellung. (…) Es gibt Völker, denen wirtschaftlicher Erfolg, aus welchen Gründen auch immer, erstrebenswert erscheint – anderen ist der Gedanke daran lästig. Die westlichen Regierungen haben den Fehler gemacht, daß sie die Menschen in den ‚Entwicklungsländern‘, bevor sie mit der Entwicklungshilfe begannen, nicht gefragt haben, ob sie sich überhaupt entwickeln wollen. Volles Verständnis für jeden, der es nicht will. Unter afrikanischen Stämmen ist zum Beispiel der Herzinfarkt unbekannt. Die Schwarzen in den Industriegebieten Südafrikas dagegen, die den höchsten Entwicklungsgrad aller Schwarzen in Afrika erreicht haben, deren Lebensstandard sogar höher als der der Industriearbeiter in Moskau ist, haben diesen Entwicklungserfolg damit bezahlt, daß auch sie anfällig für den Herzinfarkt wurden.“[53]

„(…) viele afrikanische Völker (…) werden es vorziehen, das Dasein bäuerlicher Gesellschaften zu führen, und sie werden zur Ruhe kommen, sobald sie den Schock der Konfrontation mit einer überlegenen, unverstandenen Zivilisation überwunden haben.“[54]

Auch wenn Kabou die Nicht-Entwicklung Afrikas geißelt, kommt sie in gewisser Weise zu einem ähnlichen Ergebnis wie Bandulet, wenn sie schreibt: „Es ist Zeit, diesem gefährlichen Spiel ein Ende zu setzen, die Gleichheit aller Menschen ungeachtet ihrer Verschiedenartigkeit zu fordern (…)“[55]

Es ist das gute Recht der Afrikaner (wie aller Menschen), ihre kulturelle Eigenart zu pflegen, auch auf Kosten eines wirtschaftlichen Fortschritts. Mag auch in weiten Teilen Afrikas „der Film seit dem Auszug der Kolonialherren rückwärts“ laufen. Das ist letztendlich zu akzeptieren. Natürlich hat diese „Entwicklung“ ihren Preis, der dann aber ebenfalls zu akzeptieren ist.

Kabou schreibt von einem Afrika, „das vor Reichtum und Arbeitskräften strotzt, das nicht ohne Grips ist und das dennoch vor Hunger stirbt.“[56]

Und Bandulet betont: „Im Westen ist immer noch das Vorurteil verbreitet, Neger seien dumm. Nichts könnte falscher sein. Die führende politische Schicht Afrikas ist lediglich nationalökonomisch unwissend, politisch beweist sie höchste Intelligenz. Das weiß jeder, der mit ihren Angehörigen einmal während einer Cocktailparty plaudern und ihre brillanten Sophismen und ihre Fähigkeit zu geschliffenster Ironie bewundern konnte.“[57]

Wir haben es hier also nicht mit einer Frage der Intelligenz zu tun.

Kabou stellt fest: „Es interessiert die Afrikaner nicht, ob sie mit dem derzeitigen Stand ihrer Produktivität alle Kinder, die sie in die Welt setzen, korrekt ernähren, ärztlich versorgen, kleiden und ausbilden können. Das sind für sie zweitrangige Fragen.“[58]

Es dominiert afrikanische Kultur und Tradition.

Noch einmal Kabou: „Man kann nicht genug betonen, wie sehr der Glaube an die magischen Kräfte der Zauberei die soziale Entwicklung Afrikas behindert hat und noch behindert. (…) Übrigens wäre es naiv anzunehmen, daß derartige Einstellungen in dem Maß abnehmen, wie die allgemeine Bildung zunimmt, im Gegenteil: Je mehr Diplome einer in Afrika besitzt, desto mehr glaubt er, Zielscheibe von Neid und Magie zu sein, und desto mehr benützt er zu seinem Schutz Talismane.“[59]

Richburg schreibt: „Wenn ich etwas lernte auf meinen Reisen durch Afrika, dann war es das, daß der Stamm eines der prägendsten Elemente fast jeder afrikanischen Gesellschaft bleibt. Das alte Mißtrauen zwischen den Stämmen und die Stammesstereotypen existieren nach wie vor, und die Gefahr einer gewaltsamen Implosion schwelt unterhalb der Oberfläche fort.“[60]

„Doch über diese Dinge außerhalb Afrikas zu reden ist nicht sehr populär, besonders nicht unter den Afrikanisten und westlichen Akademikern, für die das Wort ‚Stamm‘ ein Fluchwort ist. Der bevorzugte Ausdruck ist ‚ethnische Gruppe‘, weil er als weniger rassistisch gilt. Aber die Afrikaner selbst sprechen von ihren ‚Stämmen‘, und sie warnen vor der Gefahr einer Explosion zwischen den Stämmen.“[61]

Schon Bandulet bemerkt „daß der unvermutete Ausbruch von Gewalt ein immer wiederkehrendes Charakteristikum der Geschichte Afrikas ist. Die Gewalt in Afrika entspringt nicht nur der Willkür der Herrschenden, sie ist ein Kennzeichen des Kulturniveaus (…).“[62]

Auch Kabou sieht diese Gewalt und warnt vor ihrer Verherrlichung: „Oft genug werden die Massaker der afrikanischen Imperialisten zu großen historischen Ereignissen aufgebauscht, die beweisen sollen, daß Afrika fähig war, mächtige politische Systeme zu schaffen, genauso wie Europa. Die Kolonisation Afrikas durch Europa dagegen wird als bestialisch dargestellt.“[63]

Entsprechend düster ist Richburgs Resümee:

„Ich war wirklich unvoreingenommen hierher [nach Afrika] gekommen, ich wollte das Land und seine Bewohner lieben. Ich würde diese Reise so gerne gut gestimmt beenden, würde so gerne einen Hoffnungsschimmer in all dem Chaos entdecken. Ich würde so gern über das Lächeln der Afrikaner schreiben, über ihre Großzügigkeit und ihre Ausdauer, ihre Liebe zum Leben, ihre Musik und ihren Tanz, ihren Respekt vor dem Alter, ihren Sinn für Familie und Gemeinschaft. Ich könnte auf die Saat der Demokratie verweisen, die Entstehung einer ‚zivilisierten Gesellschaft, die Bildung einer städtischen Mittelschicht, die Etablierung unabhängiger Institutionen und die Herrschaft des Rechts. Ich wünschte, ich könnte meine Geschichte so beenden, aber es wäre alles gelogen.“[64]

„Es liegt vermutlich in unserer Natur, daß wir Optimisten sein und glauben wollen, daß es für alle Probleme eine Lösung gebe und sogar Afrika mit der Zeit ‚repariert‘ werden könne. Aber dieses fremdartige Land besiegt selbst den hartnäckigsten Optimisten; es nimmt dir jede Hoffnung, und glauben Sie mir, ich weiß, wovon ich spreche. (…) das Problem in Afrika ist, daß fast alles schon versucht worden ist.“[65]

„(…) ich war inzwischen zu lange hier, um Licht am Ende des langen dunklen Tunnels zu erkennen. Afrika hat eine Art, sich den meisten optimistischen Prophezeiungen zu widersetzen.“[66]

„Ich habe Angst vor Afrika. Ich möchte nicht von hier stammen. Im dunkelsten Grunde meines Herzens bin ich jetzt (…) insgeheim froh und dankbar dafür, daß mein Vorfahr die Überfahrt schaffte, die ihn hier herausbrachte.“[67]

„Ich danke Gott, daß mein Vorfahre dort rausgekommen ist, weil ich jetzt keiner von ihnen bin.“[68]

Und Scholl-Latour vermag im Trommeln des Urwaldes und im Zirpen der Savanne nur noch ein „afrikanisches Requiem“[69] zu hören.

Am Ende jedoch muß „jeder nach seiner Façon selig werden“ – das gilt auch für Afrika. Und ist zu respektieren. „Denn die Menschen sind nicht gleich: so spricht die Gerechtigkeit.“[70]

Anmerkungen


[1] Poulet, Wolf, Leben wir bald alle in gescheiterten Staaten?, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 11. August 2016

[2] Bekolo, Jean-Pierre, Let’s face it: we’re in over our heads. We need the white folks to come back, zit. nach: Lepenies, Wolf, Warum die Weißen nach Afrika zurückkommen sollen, in: Berliner Morgenpost vom 6. August 2013

[3] Bandulet, Bruno, Schnee für Afrika - Entwicklungshilfe: Vergeudete Milliarden, München / Berlin 1978, S. 198ff

[4] Richburg, Keith B., Jenseits von Amerika, Stuttgart 1998, S. 225

[5] Richburg, Keith B., Jenseits von Amerika, Stuttgart 1998, S. 13

[6] Kabou, Axelle, Weder arm noch ohnmächtig, Basel 1995, S. 100

[7] Kabou, Axelle, Weder arm noch ohnmächtig, Basel 1995, S. 94

[8] Richburg, Keith B., Jenseits von Amerika, Stuttgart 1998, S. 239

[9] Kabou, Axelle, Weder arm noch ohnmächtig, Basel 1995, S. 42

[10] Kabou, Axelle, Weder arm noch ohnmächtig, Basel 1995, S. 43

[11] Kabou, Axelle, Weder arm noch ohnmächtig, Basel 1995, S. 32f

[12] Kabou, Axelle, Weder arm noch ohnmächtig, Basel 1995, S. 35f

[13] Richburg, Keith B., Jenseits von Amerika, Stuttgart 1998, S. 238

[14] Richburg, Keith B., Jenseits von Amerika, Stuttgart 1998, S. 235

[15] Richburg, Keith B., Jenseits von Amerika, Stuttgart 1998, S. 227f

[16] Bandulet, Bruno, Schnee für Afrika - Entwicklungshilfe: Vergeudete Milliarden, München / Berlin 1978, S. 53

[17] Scholl-Latour, Peter, Afrikanische Totenklage, München 2001, S. 272

[18] Kabou, Axelle, Weder arm noch ohnmächtig, Basel 1995, S. 179

[19] Rurihose, Ndeshyo (Hrsg.), L’antidérive de l’Afrique en désarroi: le Plan d’Action de Lagos, Zaire 1985, S. 26, zitiert nach: Kabou, Axelle, Weder arm noch ohnmächtig, Basel 1995, S. 179f

[20] Kabou, Axelle, Weder arm noch ohnmächtig, Basel 1995, S. 49

[21] Kabou, Axelle, Weder arm noch ohnmächtig, Basel 1995, S. 50

[22] Kabou, Axelle, Weder arm noch ohnmächtig, Basel 1995, S. 131f

[23] Kabou, Axelle, Weder arm noch ohnmächtig, Basel 1995, S. 134f

[24] Kabou, Axelle, Weder arm noch ohnmächtig, Basel 1995, S. 95f

[25] Richburg, Keith B., Jenseits von Amerika, Stuttgart 1998, S. 227f

[26] Kabou, Axelle, Weder arm noch ohnmächtig, Basel 1995, S. 40f

[27] Kabou, Axelle, Weder arm noch ohnmächtig, Basel 1995, S. 155f

[28] Kabou, Axelle, Weder arm noch ohnmächtig, Basel 1995, S. 117

[29] Kabou, Axelle, Weder arm noch ohnmächtig, Basel 1995, S. 55

[30] Kabou, Axelle, Weder arm noch ohnmächtig, Basel 1995, S. 132

[31] Gerhardt, Kurt, Die Tore Europas zu öffnen, ist falsch, in: n-tv.de vom 23. Oktober 2013

[32] Gerhardt, Kurt, Wie Afrika seine Würde verliert, in: Spiegel online vom 11. April 2009

[33] Bandulet, Bruno, Schnee für Afrika - Entwicklungshilfe: Vergeudete Milliarden, München / Berlin 1978, S. 86

[34] Bandulet, Bruno, Schnee für Afrika - Entwicklungshilfe: Vergeudete Milliarden, München / Berlin 1978, S. 105

[35] Kabou, Axelle, Weder arm noch ohnmächtig, Basel 1995, S. 180

[36] Kabou, Axelle, Weder arm noch ohnmächtig, Basel 1995, S. 184

[37] Kabou, Axelle, Weder arm noch ohnmächtig, Basel 1995, S. 39

[38] Richburg, Keith B., Jenseits von Amerika, Stuttgart 1998, S. 226

[39] Richburg, Keith B., Jenseits von Amerika, Stuttgart 1998, S. 229f

[40] Richburg, Keith B., Jenseits von Amerika, Stuttgart 1998, S. 232

[41] Gerhardt, Kurt, Die Tore Europas zu öffnen, ist falsch, in: n-tv.de vom 23. Oktober 2013

[42] Bandulet, Bruno, Schnee für Afrika - Entwicklungshilfe: Vergeudete Milliarden, München / Berlin 1978, S. 82f

[43] Richburg, Keith B., Jenseits von Amerika, Stuttgart 1998, S. 232

[44] Richburg, Keith B., Jenseits von Amerika, Stuttgart 1998, S. 234f

[45] Bandulet, Bruno, Schnee für Afrika - Entwicklungshilfe: Vergeudete Milliarden, München / Berlin 1978, S. 103f

[46] Bandulet, Bruno, Schnee für Afrika - Entwicklungshilfe: Vergeudete Milliarden, München / Berlin 1978, S. 195

[47] Bandulet, Bruno, Schnee für Afrika - Entwicklungshilfe: Vergeudete Milliarden, München / Berlin 1978, S. 208f

[48] Bandulet, Bruno, Schnee für Afrika - Entwicklungshilfe: Vergeudete Milliarden, München / Berlin 1978, S. 54f

[49] Scholl-Latour, Peter, Afrikanische Totenklage, München 2001, S. 140f

[50] Scholl-Latour, Peter, Afrikanische Totenklage, München 2001, S. 165

[51] Scholl-Latour, Peter, Afrikanische Totenklage, München 2001, S. 242

[52] Kabou, Axelle, Weder arm noch ohnmächtig, Basel 1995, S. 189

[53] Bandulet, Bruno, Schnee für Afrika - Entwicklungshilfe: Vergeudete Milliarden, München / Berlin 1978, S. 53f

[54] Bandulet, Bruno, Schnee für Afrika - Entwicklungshilfe: Vergeudete Milliarden, München / Berlin 1978, S. 226

[55] Kabou, Axelle, Weder arm noch ohnmächtig, Basel 1995, S. 79

[56] Kabou, Axelle, Weder arm noch ohnmächtig, Basel 1995, S. 136

[57] Bandulet, Bruno, Schnee für Afrika - Entwicklungshilfe: Vergeudete Milliarden, München / Berlin 1978, S. 91

[58] Kabou, Axelle, Weder arm noch ohnmächtig, Basel 1995, S. 151

[59] Kabou, Axelle, Weder arm noch ohnmächtig, Basel 1995, S. 211f

[60] Richburg, Keith B., Jenseits von Amerika, Stuttgart 1998, S. 144f

[61] Richburg, Keith B., Jenseits von Amerika, Stuttgart 1998, S. 146

[62] Bandulet, Bruno, Schnee für Afrika - Entwicklungshilfe: Vergeudete Milliarden, München / Berlin 1978, S. 128f

[63] Kabou, Axelle, Weder arm noch ohnmächtig, Basel 1995, S. 127

[64] Richburg, Keith B., Jenseits von Amerika, Stuttgart 1998, S. 294f

[65] Richburg, Keith B., Jenseits von Amerika, Stuttgart 1998, S. 309

[66] Richburg, Keith B., Jenseits von Amerika, Stuttgart 1998, S. 315

[67] Richburg, Keith B., Jenseits von Amerika, Stuttgart 1998, S. 303

[68] Richburg, Keith B., Jenseits von Amerika, Stuttgart 1998, S. 15

[69] Scholl-Latour, Peter, Afrikanische Totenklage, München 2001, S. 298

[70] Nietzsche, Friedrich, Also sprach Zarathustra, Leipzig 1925, S. 185

 

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