Roger Kunert

Die Frau - im Spiegel der Weltanschauungen

Die Frau – im Spiegel der Weltanschauungen

Bei den folgenden Texten können wir mutmaßen, daß sie – soweit nichts anderes bekannt ist – von Männern verfaßt bzw. erzählt wurden.

Und wir wollen auch nicht vergessen, daß die religiösen Regeln von Menschen aufgeschrieben wurden. Auch wenn hierbei „Offenbarungen“ mutmaßlicher Götter behauptet werden, sagen die aufgestellten „Gesetze“ eher etwas über die Sichtweise der sie verkündenden Männer aus.

Betrachten wir nun also – sofern darüber Aussagen getroffen werden – einige weltanschauliche Standpunkte hinsichtlich der Stellung der Frau einerseits in Bezug auf die Schöpfung und andererseits in ihrem Verhältnis zum Mann.

Eine unmißverständliche Vorstellung tritt uns in der jüdisch-christlichen Darlegung entgegen. In der Bibel kann man lesen: „Und Gott schuf den Menschen ihm zum Bilde."[1] „Und Gott der Herr machte den Menschen aus einem Erdenkloß, und er blies ihm ein den lebendigen Odem in seine Nase. Und also ward der Mensch eine lebendige Seele.“[2]

Gott ist hier demnach sowohl Schöpfer als auch Lebensgeber.

Im folgenden werden die Unterschiede der Geschlechter deutlich gemacht:

„Und Gott der Herr sprach: Es ist nicht gut, daß der Mensch allein sei; ich will ihm eine Gehilfin machen, die um ihn sei.“[3] „Und Gott der Herr baute ein Weib aus der Rippe, die er von dem Menschen nahm, und brachte sie zu ihm. Da sprach der Mensch: Das ist doch Bein von meinem Bein und Fleisch von meinem Fleisch; man wird sie Männin heißen, darum daß sie vom Manne genommen ist.“[4]

Der Mann ist hier der Mensch überhaupt; die Frau als nachrangige Gehilfin nur als Teil des Mannes gedacht, ohne ihn nicht existent. Moderne Deutungen versuchen zwar andere Interpretationen, aber daß die Frau obendrein zur Verderberin wurde, indem sie von der „verbotenen Frucht“ aß und den Mann ebenso dazu bewog, vollendet doch ihre untergeordnete Stellung:

„Und zum Weibe sprach er [Gott]: Ich will dir viel Schmerzen schaffen, wenn du schwanger wirst; du sollst mit Schmerzen Kinder gebären; und dein Verlangen soll nach deinem Manne sein, und er soll dein Herr sein.“[5]

Er soll dein Herr sein – deutlicher geht es nicht!

Obendrein erwartet Gott bekanntermaßen Verehrung von den Menschen.

So ähnlich steht es im Koran, dort heißt es: „O ihr Menschen, dienet eurem Herrn, der euch erschaffen …“[6]

Und die Stellung der Frau ist ebenfalls deutlich: „Eure Frauen sind eure Ackerfelder, geht zu euren Ackerfeldern, wie euch beliebt …“ [7]

Noch deutlicher ist dies: „Den Menschen ist ein Trieb des Verlangens eigen nach Frauen …“ [8]

Der Mensch – das ist der Mann! Die Frau – das Objekt!

Ein wesentlich anderes Menschen- und Frauenbild tritt uns in etlichen der sogenannten Naturreligionen gegenüber. Einige davon seien kurz vorgestellt.

Im Popol Vuh, dem heiligen Buch der Maya, heißt es: „Hier ist nun der Anfang, als entschieden wurde, den Menschen zu erschaffen, und was in das Fleisch des Menschen eingehen sollte, wurde gesucht.

Und die Vorväter, der Schöpfer und der Macher, die genannt wurden Tepeu und Gucumatz, sagten: ‚Die Zeit des Morgengrauens ist gekommen, laßt uns das Werk beenden. Laßt jene, die uns ernähren und erhalten sollen, erscheinen, die edlen Söhne, die zivilisierten Vasallen, laßt den Menschen erscheinen. (…)‘ Also sprachen sie.

Sie versammelten sich und hielten Rat (…). Auf diese Art kam ihre Entscheidung klar ans Licht. Sie fanden und entdeckten, was eingehen sollte, in das Fleisch des Menschen. (…)

Von Paxil, von Cayalá kamen die Sprossen des gelben Mais und die Sprossen des weißen Mais. (…) So erfanden sie die Nahrung, und dies war es, was in das Fleisch des erschaffenen Menschen einging, woraus das Blut des Menschen gemacht wurde. (…) Der gelbe und der weiße Mais waren ihr Fleisch. Maismehl war es, aus dem sie die Arme und die Beine des Menschen machten. Nur Teig von Maismehl wurde verwendet für das Fleisch unserer ersten Väter. Vier Männer wurden erschaffen. (…) Es ist überliefert, daß sie gemacht und geformt wurden, daß sie selbst keine Mutter und keinen Vater hatten. Man nannte sie nur Menschen. Sie wurden nicht von einem Weib geboren, noch wurden sie vom Schöpfer oder vom Macher gezeugt. (…) Dann wurden die Frauen gemacht. Gott selbst machte sie sorgfältig. Und so im Schlaf tauchten sie plötzlich auf, wahrhaftig und schön (…). Viele Menschen wurden gemacht (…). Sie schauten zum Himmel, aber sie wußten nicht, warum es soweit gekommen war.“ [9]

Der „Schöpfer“ und der „Macher“ waren die Götter des Windes und des Regens (Gucumatz) und des Blitzes und des Feuers (Tepeu), also die Naturgewalten.

Die Frauen wurden in dieser Überlieferung zwar etwas später als die Männer erschaffen, aber nichts deutet auf eine Nachrangigkeit hin, vielmehr werden sie – anders als die Männer – ausdrücklich mit positiven Attributen versehen.

Die Warrau-Indianer aus dem Orinoco-Delta berichten: „In den Zeiten vor unserer Zeit gab es bereits alle Lebewesen, die es auch heute gibt, nur die Menschen noch nicht. Es war eine schöne Welt. (…) Jeder hatte genug, und keiner wollte mehr. Es war ein Leben wie im Himmel. Dort oben leuchtete Adaheli, die ewige Sonne. Der große Lichtgott sah alles. Und er fand, daß etwas fehlte. Darum kam er auf die Erde herab, um die Menschen zu erschaffen. Adaheli wählte den Kaiman aus, das Krokodil. Der Kaiman gebar die Menschen. Es waren angenehme, gutgewachsene Leute – freundliche, starke Männer und leuchtend schöne Frauen. Jeder der Männer nahm sich eine Frau. Sie gründeten Familien und lebten glücklich miteinander.“ [10]

Die Sonne ist die grundsätzliche Lebensspenderin und die Natur in Gestalt des Kaimans der unmittelbare Ursprung von Mann und Frau, ohne Rang und Wertung.

Von den afrikanischen Mkwule heißt es: „Oben bei Gott waren viele Menschen. Gott sprach: ‚Auch auf Erden sollen viele Menschen sein‘, und schleuderte zwei reife Menschen herab. Einer war Mann, der Gefährte Weib.“ Doch deren Tochter verschwendete das Saatgut. „Gott kam, sprach: ‚Ihr verdarbt die Erde, jetzt müßt ihr viel pflanzen, müßt Todes sterben.‘“ [11]

Die Geschlechter werden zwar gleichrangig geschaffen, aber die Frau ist interessanterweise auch hier, wie in der jüdisch-christlichen Religion, die Sünderin.

Die Baluba im Kongo erzählen sich: „Kabezya-Mpungu, das höchste Wesen, hat den Himmel geschaffen, die Erde und zwei vernunftbegabte Wesen, Mann und Frau. Diese beiden lebenden Wesen, die Kabezya-Mpungu kannten, hatten nicht Mutima (Herz, kein lebenerhaltendes Prinzip), und sie vermochten noch nicht zu zeugen.

Kabezya-Mpungu hatte vier Kinder: Sonne, Mond, Finsternis und Regen.

Eine Weile nach der Schöpfung rief Kabezya-Mpungu die vier Kinder und sprach: ‚Ich will nicht, daß Menschen mich länger sehen. Ich kehre in mich zurück und sende Mutima (…)‘

Darauf verschwand Kabezya-Mpungu.

Es erschien darauf das Herz, in einem kleinen, handgroßen Gefäß.

Das Herz schrie und wandte sich gen Sonne, Mond, Finsternis und Regen: ‚Kabezya-Mpungu, unser Vater, wo ist er!‘

‚Vater ist fort, und wir kennen nicht den Weg, den er ging.‘

‚Gewaltig sehnte ich mich‘, erwiderte das Herz, ‚mit ihm zu sprechen. Da ich ihn nicht finden kann, trete ich in diesen Mann. So wandere ich von Geschlecht zu Geschlecht.‘ Tat es, und der Mann erkannte sein Weib, das ihm Knaben und Mädchen gebar, alle mutima-begabt.“ [12]

Diese Überlieferung ist besonders interessant. Abgesehen davon, daß Mann und Frau vollkommen gleichrangig geschaffen wurden, zieht sich das „höchste Wesen“ hier „in sich“ zurück und übergibt die Schöpferkraft den Menschen. Obendrein verschwindet dieses „höchste Wesen“ spurlos und entzieht sich damit einer wie auch immer gearteten Verehrung.

Und von den Zulus in Südafrika wird folgendes überliefert: „Es heißt, daß der erste Mann und die erste Frau nicht wußten, wer sie erschuf. Sie erinnerten sich später, daß sie im Dickicht umherkrochen. Sie waren erwacht und fanden sich im Rohr liegen. Da krabbelten sie umher, der Mann für sich und die Frau für sich. So kamen sie zueinander und beschlossen, gemeinsam den Lebenskampf aufzunehmen.“ [13]

Kein Gott ist hier im Spiel, keine Wertigkeit der beiden Geschlechter.

In „Der Seherin Weissagung“ – allein daß hier eine Frau als Urheberin genannt wird, ist vielsagend – dem ersten Abschnitt der heidnisch-germanischen Edda, heißt es:

„Da kamen zum Meerstrand mächtig und hold

aus diesem Geschlecht drei der Asen;

auf freiem Felde fanden sie kraftlos

Ask und Embla, unsichern Loses.

 

Hauch und Seele hatten sie nicht,

Gebärde noch Wärme noch blühende Farben;

den Hauch gab Odin, Hönir die Seele,

Lodur die Wärme und leuchtende Farben.“ [14]

Das erste Menschenpaar, Ask und Embla – Esche und Ulme – ist leblos, als die Götter es finden. Das Leben in ihnen erwacht durch den von Odin (Wotan) ihnen gespendeten beseelenden Atem, die von Hönir verliehene Seele und den Geist, und das von Lodur (Loki) gegebene Blut und die damit verbundene Körperwärme.

An dieser germanischen Schöpfungsgeschichte zeigen sich die Vorstellungen des Verhältnisses der Menschen zum Göttlichen sowie des Verhältnisses von Mann und Frau.

Zum einen sind die Götter nicht die ursprünglichen, verehrungswürdigen Schöpfer der Menschen, da sie diese lediglich kraftlos am Meeresufer vorfinden. Aber die Götter geben ihnen immerhin das Leben.

Zum anderen verdeutlicht die gleichzeitige Erweckung des ersten Menschenpaares dessen Gleichrangigkeit, wenn auch beide – wie der Volksmund sagt – aus unterschiedlichem Holz geschnitzt sind.

Und dann ist von den „mächtigen drei Mädchen“[15] die Rede, den Nornen, die sowohl den Menschen als auch den Göttern (!) das Schicksal bestimmen.

„Eine Esche kenn‘ ich, Yggdrasil heißt sie, 

den gewaltigen Baum netzt weißes Naß;  

von dort kommt der Tau, der die Täler befeuchtet;  

immergrün steht er an der Urd Quelle.

 

Es steht ein Saal am Stamme des Baumes,

drei weise Jungfrau’n wohnen darin:

die eine heißt Urd, die andere Werdandi

– sie schnitzten in Schindeln – Skuld ist die dritte; 

des Lebens Lose legten sie fest

den Menschenkindern, der Männer Schicksal.“ [16]

Weise Frauen sitzen also am Weltenbaum, dem Symbol des einheitlichen und organisch gegliederten Weltalls – ihre Namen bedeuten Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft – und bestimmen das Schicksal der Männer!

Ein größerer Gegensatz zu den genannten orientalischen Religionen ist wohl kaum vorstellbar!

In den folgenden Abschnitten der Edda werden den Männern dann noch einige, man könnte sagen vorsichtige,  Ratschläge über den Umgang mit Frauen gegeben. Unter anderem heißt es dort:   

„Das rat’ ich zum fünften, wenn du reizende Mädchen

im Silberschmuck siehst auf der Bank;

laß nicht von den Schönen den Schlaf dir rauben,

verführ‘ auch nicht Frauen zum Kuß!“ [17]

 

„Nicht traue der Mann eines Mädchens Reden

noch der Weiber Wort;

ihr Herz ward auf rollendem Rade geschaffen,

drum wohnt der Wankelmut drin.“ [18]

Wer mag das geraten haben? Vielleicht eine Mutter ihrem heranwachsenden Sohn? ---

Spannen wir nun noch den Bogen zu dem, was landläufig als Philosophie bezeichnet wird, wobei schon in den Naturmythen – wie wir gesehen haben – sehr viel Philosophisches steckt.

Friedrich Nietzsche, dem oftmals, warum auch immer, Mißverstandenen, der mutmaßt: „Wer weiß? Vielleicht bin ich der erste Psycholog des Ewig-Weiblichen.“[19]schreibt: „Man kann nicht mild genug gegen die Frauen sein!“ [20]

Und weiter: „Das vollkommene Weib ist ein höherer Typus des Menschen als der vollkommene Mann (…)“ [21]

„Das, was am Weibe Respekt und oft genug Furcht einflößt, ist seine Natur, die ‚natürlicher‘ ist als die des Mannes, seine echte, raubtierhafte, listige Geschmeidigkeit, seine Tigerkralle unter dem Handschuh, seine Naivität im Egoismus, seine Unerziehbarkeit und innerliche Wildheit; das Unfaßliche, Weite, Schweifende seiner Begierden und Tugenden …“ [22]

Wer die Gedankenwelt Nietzsches versteht, weiß, daß diese Ausführungen seine höchste Anerkennung bedeuten. Seine vielfach zitierten Textpassagen, die einen abwertenden Beiklang zu haben scheinen, sind vorrangig gesellschaftskritisch zu sehen.

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Die angeführten Beispiele zeigen, daß es in dem hier relevanten Zusammenhang zwei grundsätzlich verschiedene Weltanschauungen gibt: eine autoritäre und eine gewissermaßen „demokratische“. Die Bestrebungen bestimmter Kreise der modernen Gesellschaft nach „Gleichberechtigung“ usw. gehen fatalerweise – vermutlich aus Unkenntnis – von der autoritären Sichtweise aus, ohne sich die bereits vorhandenen „demokratischen“ Traditionen zu eigen zu machen. Sie sind damit lediglich reaktiv und destruktiv. Dabei ließen sich aus den natur-philosophischen Grundlagen wesentliche konstruktive Ansätze ableiten.

Anmerkungen

 


[1] Bibel, 1. Mose 1, 27

[2] Bibel, 1. Mose 2, 7

[3] Bibel, 1. Mose 2, 18

[4] Bibel, 1. Mose 2, 22-23

[5] Bibel, 1. Mose 3, 16

[6] Koran, 2. Sure 19

[7] Koran, 2. Sure 223

[8] Koran, 3. Sure 12

[9] Hetmann, Frederik (Hrsg.), Indianische Märchen, Wien 2005, S.25ff

[10] Dreecken, Inge / Schneider, Walter, Die schönsten Sagen aus der Neuen Welt, München 1972, S. 147

[11] Einstein, Carl (Hrsg.), Afrikanische Märchen und Legenden, Berlin 1980, S. 16f

[12] Einstein, Carl (Hrsg.), Afrikanische Märchen und Legenden, Berlin 1980, S. 94f

[13] Dreecken, Inge / Schneider, Walter, Die schönsten Sagen aus der Neuen Welt, München 1972, S. 390

[14] Gering, Hugo (Übers.), Die Edda, Leipzig 1892, S. 5

[15] Gering, Hugo (Übers.), Die Edda, Leipzig 1892, S. 4

[16] Gering, Hugo (Übers.), Die Edda, Leipzig 1892, S. 6

[17] Gering, Hugo (Übers.), Die Edda, Leipzig 1892, S. 217

[18] Gering, Hugo (Übers.), Die Edda, Leipzig 1892, S. 96

[19] Nietzsche, Friedrich, Werke, Auswahl in zwei Bänden, Bd.2, Stuttgart 1939, S. 278 (Ecce homo)

[20] Nietzsche, Friedrich, Werke, Auswahl in zwei Bänden, Bd.1, Stuttgart 1939, S. 318 (Die fröhliche Wissenschaft)

[21] Nietzsche, Friedrich, Werke, Auswahl in zwei Bänden, Bd.1, Stuttgart 1939, S. 159 (Menschliches,Allzumenschliches)

[22] Nietzsche, Friedrich, Werke, Auswahl in zwei Bänden, Bd.2, Stuttgart 1939, S. 58 (Jenseits von Gut und Böse)

 

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